Haushaltsrede Harm Adam, stv. Vorsitzender und finanzpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Göttinger Kreistag am 09.12.2015
Kreistag Göttingen / Kreisetat 2016 I.
Jetzt ist gemeinsames Handeln gefragt! – Winfrid Kretschmann unterstützt die Europa- und Flüchtlingspolitik der Bundesregierung mit den Worten: „ Aber Krisen sind Zeiten, in denen Konsens gefragt ist, nicht Konflikt. Das parteipolitische kleine Karo ist derzeit nicht angebracht. Das war schon beim Fiskalpakt so. Die Kanzlerin ist ein unglaublicher Stabilitätsfaktor in Europa, und sie zeigt große Weitsicht. Wenn wir wieder nationale Grenzen errichten, schaltet Europa den Rückwärtsgang ein. Dann droht das europäische Projekt zu scheitern. Das will sie verhindern, und ich bin ganz an ihrer Seite. Wir brauchen mehr Europa und nicht weniger. Das zeigt der Terrorismus überdeutlich.“
„Niedersachsen packt an!“ Ich zitiere aus dem jüngst veröffentlichten zivilgesellschaftlichen Aufruf: „Auf der Flucht vor Krieg, Terror und politischer Verfolgung retten sich jeden Tag zahlreiche Menschen nach Europa, Deutschland und auch zu uns nach Niedersachsen. In unserer Demokratie, in der die Würde jedes Menschen unantastbar ist, hoffen die Flüchtlinge berechtigter Weise auf Schutz für sich und ihre Kinder.“
Auch im Landkreis Göttingen sind wir verpflichtet, gemeinsam zu handeln und Flüchtlingen Schutz, Obdach und denjenigen, die dauerhaft bleiben können und es auch wollen, Bildung und Arbeit zu vermitteln. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, in der Krise nicht nur über Werte zu diskutieren, sondern vor allem, diese auch in der Praxis anzuwenden. Für uns als Fraktion der CDU, als christliche Demokraten, ist Ausgangspunkt unserer Wertentscheidungen der christliche Wertekanon. Ebenso wichtig – und im Sinne einer säkularen Begründung bedeutsam – sind aber auch die Wertentscheidungen unserer Verfassung, des Grundgesetzes. Mit Artikel 1 statuiert es den von Konfessionen und Religionen unabhängigen „Schlüsselwert“ mit dem Satz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Dieser Norm sind alle weiteren konkreten Werteentscheidungen in dem Sinne verpflichtet, dass sie ihr nicht widersprechen dürfen. Denn Artikel 1 des Grundgesetzes enthält eine direkt anwendbare Verfassungsnorm. Diese ist der Fixpunkt, an dem sich der Kompass unseres Wertesystems ausrichtet – gleich, ob es sich um säkulare oder religiös begründete Werte handelt.
Da die Flüchtlingsbetreuung und -unterbringung im kommenden Jahr der ganz überragende neue Handlungsschwerpunkt - wie in allen deutschen Kommunen - ist, bei dem wir unsere Wertentscheidungen konkretisieren, indem wir den uns zugewiesenen Flüchtlingen wieder ihre Würde zurückzugeben versuchen, werden wir dem Haushalt zustimmen.
Den jüngsten Berechnungen der Verwaltung liegen auf der Grundlage des Erlasses des Nds. Innenministeriums vom 03.12.2015 jahresdurchschnittlich 996 Personen zugrunde (1.514 Flüchtlinge für den LK Göttingen in 2016), so dass sich eine ergebniswirksame Kostenpauschale von 9,96 Mio Euro errechnet. Hierbei ist die im Jahr 2016 ergebniswirksam werdenden Kostenerstattungspauschale i. H. v. 4.440.000 € und die in 2018 auszuzahlenden Kostenerstattungspauschale i. H. v. gesamt 5,52 Mio. Euro als Ertrag im Ergebnishaushalt 2016 entsprechend berücksichtigt worden. Der Planung liegt hierbei eine angenommene Flüchtlingszahl von 200.0000 für Niedersachsen zugrunde, wobei das Land vergangenen Freitag erklärt hat, es rechne für das Jahr 2016 lediglich mit der Hälfte dieser Zahl.
Das sind alles nackte Zahlen, die aber schwerwiegende Konsequenzen für unsere Verwaltung und die Menschen unserer Region haben, wobei die Erstaufnahmeeinrichtungen in unserem Landkreis jenseits unserer Zuständigkeit zusätzlich unser Augenmerk beanspruchen. Wir haben infolge unseres Privilegs, aufgrund der Existenz der Erstaufnahmeeinrichtung Friedland bislang bei der Zuweisung dauerhaft zu betreuender Flüchtlinge und Asylbewerber 80% weniger Zuweisungen zu bekommen, erheblich profitiert und uns auf die kommenden Entwicklungen einstellen können. Diese Vorarbeiten wurden aber auch erbracht. Ich bin optimistisch, dass das Vier-Säulen-Handlungskonzept „Willkommen Flüchtlinge“ mit kurzfristig eingerichteten hauptamtlichen Stellen, den unverzichtbaren vielen Ehrenamtlichen, einer ausreichenden Sprachförderung und einer zielgerichteten Bildungs- und Arbeitsförderung greifen wird. Es ist richtig, im Haushalt für verschiedenste denkbare Aufgaben der Flüchtlingsbetreuung und auch –integration „Platzhalterposten“ in Millionenhöhe einzurichten. Im Rahmen von Projektförderungen müssen dabei auch Einrichtungen profitieren können, denen Sie bei den Haushaltsberatungen erhöhte Zuschüsse für die laufende Arbeit verweigert haben.
Schon jetzt appelliere ich an das Verständnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Kreisverwaltung, dass die aufgrund der anstehenden Kreisfusion ohnehin erhöhte Arbeitsbelastung durch die Bewältigung unserer Aufgaben in der Flüchtlingsbetreuung weiter ansteigt. Dies sind Herausforderungen in einer für den Landkreis Göttingen historisch bedeutsamen Ausnahmesituation. - In der Kreispolitik werden wir uns aber auch Gedanken machen müssen, wie wir in Zeiten zunehmenden Fachkräftemangels langfristig unseren Nachwuchs sichern. Wir sollten dabei im kommenden Jahr diskutieren, ob wir nicht die Zahl der Ausbildungsplätze in unserer Verwaltung zukünftig und dann auch dauerhaft deutlich erhöhen, um den Beschäftigungsstand ausreichend dimensionieren zu können. Damit griffen wir eine der zentralen Forderungen unseres Personalrates auf. II.
Über Bedenken, die der politischen „Alltagsarbeit“ im Umgang mit rot-grün verantworteten Kreishaushalten geschuldet sind, werde ich aber heute dennoch nicht den Mantel des Schweigens hüllen.:
1. Lassen Sie mich aus der Stellungnahme des Kreisverbandes des Städte- und Gemeindebundes zitieren: „Man darf … durchaus positiv hervorheben, dass der Haushaltsentwurf eine breite Palette an Leistungen und Investitionen vorsieht. Zu nennen ist hier insbesondere die Rekordinvestitionssumme in Höhe von rd. 30,6 Mio. Euro und dies bei gleichzeitig beachtlicher Rückführung der Schulden für Investitionen auf 33 Mio. Euro. Und dies ist nicht allein Sonderprogrammen, wie dem Nds. Kommunalinvestionsprogramm zu verdanken, wodurch dem Landkreis Göttingen einmalig Mittel des Bundes - über das Land weitergereicht - in siebenstelliger Höhe zufließen.
Mit allein 8,6 Mio. Euro für die Unterhaltung und Erweiterung der Schulen, 5,9 Mio. Euro für den Neubau der Sporthalle in Groß Schneen, 3,9 Mio. Euro für die Unterhaltung und den Ausbau von Kreisstraßen und der erneuten Veranschlagung der in 2015 unangetasteten 2 Mio. Euro für den Breitbandausbau sind im Haushaltsplanentwurf 2016 des Kreises Maßnahmen etatisiert, die der Bevölkerung aller kreisangehörigen Städte, Gemeinden und Samtgemeinden auch in der Fläche zugute kommen.
Dennoch, sehr geehrter Herr Landrat Reuter, entwickeln sich die Haushalte der kreisangehörigen Städte, Gemeinden und Samtgemeinden in 2016 nicht in gleichem Maße positiv, wie der des Landkreises Göttingen. So wurde in der Arbeitsgemeinschaft der Kämmerer ... aufgezeigt, dass es vielerorts sowohl im Ergebnis- als auch im Finanzhaushalt für das kommende Jahr keine ausreichende Finanzausstattung gibt.“
Weiter heißt es unter Bezugnahme auf die seit der Haushaltseinbringung infolge hoher Steuereinnahmen des Landes nochmals verbesserten Schlüsselzuweisungen, die den Punktwert der Kreisumlage der Kommunen verbessern: „ Da diese für den Landkreis Göttingen nunmehr zusätzliche Einzahlungen und Erträge in Höhe von 3,5 Mio. Euro bedeuten – davon allein 3,0 Mio. Euro mehr bei der Kreisumlage - bittet der Kreisverband im Namen seiner Städte, Gemeinden und Samtgemeinden um Fortführung des Investitionshilfeprogrammes LunILaR für 2016.“
Die Bürgermeister, darunter doch einige Sozialdemokraten, formulieren es zurückhaltend und m.E. viel zu vorsichtig. - Sehr geehrte Damen und Herren von der rot-grünen Kreistagsmehrheit. Ich weiß, dass sich in Ihren vorrangig sozialdemokratischen Taschen die Faust ballt, wenn Sie daran denken, wie sich der Landkreis unter der Ägide Landrat Reuters zulasten seiner kreisangehörigen Kommunen bereichert hat. Unabhängig von der Entschuldungshilfe bestand in den zurückliegenden Jahren des neuen Jahrzehnts Veranlassung, die Kreisumlage zu senken. Es schmerzt doppelt, wenn Sie noch nicht einmal die Kraft aufbringen, Investitionszuschüsse an die Kommunen (zurück) zu geben. Das ist unseriös und unsolidarisch. Allein von 2013 bis 2015 generieren wir Haushaltsüberschüsse von 35,5 Millionen Euro; dabei ist die Zinsentlastung durch die Entschuldungshilfe Ende 2013 nur von untergeordneter Bedeutung. Unter finanzpolitischen Vorzeichen bräuchten wir die Kreisfusion nicht. Aufgrund der Konsolidierungsbemühungen unter Landrat Schermann und infolge der der guten konjunkturellen Entwicklung sowie durch gestiegene Kostenerstattungen von Bund und Land - beispielsweise bei den Kosten der Unterkunft im Bereich der Grundsicherung – hätten wir heute Gestaltungsspielräume, unseren Landkreis aus eigener Kraft noch weiter nach vorn zu bringen und gleichzeitig unsere Kommunen solidarisch bei der Kreisumlage zu entlasten!
2. Ein weiteres: Die regionale Wirtschaft wird von der Kreistagsmehrheit nicht ausreichend fokussiert. Wir haben ein eigenes Investitionshilfeprogramm für mittelständische Unternehmen mit einer jährlichen Ausstattung von mindestens 500.000 € für die nächsten fünf Jahre gefordert, nachdem die rot-grüne niedersächsische Landesregierung entgegen dem Rat der EU-Kommission die sogenannten regionalisierten Teilbudgets, über die die KMU-Förderung in der Förderperiode 2007 bis 2013 erfolgreich abgewickelt wurde, abgeschafft hat. Die Schlußbilanz der vergangenen EU-Förderperiode lautete dahingehend, dass im Landkreis Göttingen mit Einzelförderungen zwischen 2.500 € und 150.000 € insgesamt 27,3 Mio. Euro Investitionen ausgelöst und 251 Arbeitsplätze neu geschaffen wurden.“ Noch im Juli 2014 erklärte der Landrat zu der Bilanz des von seinem Vorgänger Scheermann aufgelegten Programms: „Damit haben wir ein eigenes Beschäftigungsprogramm auf die Beine gestellt, das mit rund 18.300 € pro geschaffenen Arbeitsplatz sehr effektiv ist.“ Nun ist das alles nicht mehr wahr und angeblich ein Instrument von gestern.
Darf ich Ihnen, verehrte Mehrheitsgruppe, auszugsweise Feststellungen unseres Ministerpräsidenten, des Parteibuchs wegen unverdächtig, vorhalten. So haben die niedersächsischen Industriebetriebe im Jahr 2014 nahezu sechs Milliarden Euro investiert. Im Vergleich zum Vorjahr sind damit die Investitionen im Vergleich zum Vorjahr um 614 Millionen Euro (+11,4%) gestiegen. MP Weil: „Der deutliche Anstieg der Investitionen in der niedersächsischen Industrie zeigt die Stabilität unserer Wirtschaft. Bei aller Freude über das Rekordhoch bei den Industrieinvestitionen müssen wir aber auch strukturelle Herausforderungen im Blick behalten. Es zeigt sich, dass vor allem größere Betriebe zu der deutlichen Ausweitung der Investitionen beigetragen haben. Die Investitionsneigung kleiner und mittlerer Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten hat sich seit 2010 dagegen nur verhalten entwickelt. Aus meiner Sicht ist es deshalb die vorrangige wirtschaftspolitische Aufgabe, … (die) mittelständische Wirtschaft zu fördern und .. die Investitionsneigung zu erhöhen.“ Genau richtig, selbst wenn die Landesregierung erfolgversprechende Lösungen nicht hinreichend konkretisiert: eine KMU Förderung zur Sicherung und zum Ausbau von Beschäftigung täte uns gut! Dass das abermals etatisierte Programm für den Breitbandausbau – nun 2 Millionen statt der noch letztes Jahr angekündigten 5 Millionen Euro – zwar wohlfeil ist, ich aber noch nicht sehe, wie wir den Breitbandausbau und damit insbesondere auch die mittelständische Wirtschaft in einzelnen ländlichen Räumen tatsächlich unterstützen wollen, passt hier ins Bild, genau so, wie mir Konzepte für die Ausweisung neuer und wirklich attraktiver Gewerbeflächen in unserer Region fehlen.
Lassen Sie mich klarstellen: selbstverständlich leisten unsere Wirtschaftsförderer in der WRG gute Arbeit. Mit dem Innovationspreis und dem Konzept des Südniedersachseninnovationscampus zur Fachkräftegewinnung werden richtige Akzente fortgeführt bzw. neu gesetzt. Auch die Energieagentur und ihre Programme leisten indirekt Wirtschaftsförderung, wenn sie dem Gewerbe und privaten Haushalten Unterstützung zukommen lassen, die Energiekosten einzudämmen. Für eine Wirtschafts- und Arbeitsförderung aus einem Guss fehlen aber wichtige Bausteine. Es ginge „besser“.
III.
Fazit:
wir freuen uns über einen formal ausgeglichenen Haushalt, selbst wenn er bei der Einstellung von erst in 2018 zu erwartenden Kostenerstattungen bei der Flüchtlingsbetreuung auf Bilanztricks beruht. Wir freuen uns über Rücklagen, die Gestaltungsspielräume eröffnen, die wir in den Bereichen Bildung (z.B. mit versechsfachten Budgets für die sächliche Ausstattung unserer Schulen) und Kultur gemeinsam nutzen. Wir freuen uns, wenn wir durch eine gut aufgestellte Arbeits- und Sozialverwaltung einen Tiefstand bei der Arbeitslosigkeit in unserer Region verzeichnen. Unseren Mitarbeitern danken wir für die Bewältigung der Herausforderungen, wir werden uns um Ihre Bedürfnisse weiter kümmern. Wir bedauern die unzureichende (finanz)politischer Solidarität mit unseren Kommunen.
Vor der Kreisfusion gilt für uns: wir haben die Kraft, unsere Region voranzubringen. Der zukünftige „Altkreis“ Göttingen kann für den zukünftigen „Altkreis“ Osterode wie eine starke Dampflokomotive mit wohl gefüllten Kohletendern sein. Daran, dass uns die Luft dennoch nicht über kurz oder lang ausgeht, müssen wir gemeinsam arbeiten. Ich bin überzeugt: Wir schaffen das!
gez. Harm Adam